Kommentar: Werden Versandhändler zukünftig Rücksendegebühren erheben?
Mit der Ratifizierung der neuen EU-Verbraucherrecht-Richtlinie haben Versandhändler theoretisch die Möglichkeit auch für Waren über 40€ eine Rücksendegebühr zu erheben. Doch werden Sie dies auch tun?
Aktuell greifen viele Medien erfreulicherweise das Retourenthema auf und berichten darüber. Häufig werden dabei die Ergebnisse der Forschungsgruppe Retourenmanagement angeführt. Dies freut uns sehr, allerdings fällt auf, dass teilweise Ergebnisse aus dem Sachverhalt gerissen bzw. falsch interpretiert werden.
Kurzfristig wird sich wenig ändern
Richtig ist, dass in einer Befragung von 302 Versandhändlern im Jahr 2012 81,8% angaben, künftig Rücksendegebühren erheben zu wollen (vgl. Abb. 1). Ebenfalls war erkennbar, dass die Haltung von der Unternehmensgröße abhängt. Während mittelgroße Händler mit einem Umsatz von über 10 Mio. Euro Gebühren mehrheitlich ablehnen, ist die Akzeptanz bei kleinen Unternehmen größer. Keines der drei befragten Großunternehmen mit einem Umsatz von über 50 Mio. Euro plant die Einführung von Gebühren (aufgrund des kleinen n nicht explizit in der Grafik ausgewiesen).
Abb. 1: Studienergebnisse Rücksendegebühren
Damit zeigt die Untersuchung, dass die großen, marktdominierenden Händler ihre derzeitige Retourenpolitik beibehalten. Für die Mehrheit der Versandhandels-Kunden wird sich folglich nichts ändern. Kleinere Händler würden zwar gerne Rücksendegebühren erheben, jedoch ist mehr als fraglich, ob sie diese in der Praxis durchsetzen können. Aufgrund des großen Wettbewerbsdrucks ist mit wenigen Ausnahmen nicht davon auszugehen.
Die prognostizierte Entwicklung mag zunächst viele Verbraucher beruhigen. Nichtsdestotrotz sollte das aktuelle Modell der "kostenlosen Retoure" kritisch hinterfragt werden. Denn gratis ist die Rücksendung nur auf den ersten Blick. De facto kalkulieren die Händler die Kosten mit in den Verkaufspreis ein. Folglich subventionieren Verbraucher, die ihre Kaufentscheidung wohlüberlegt treffen und entsprechend weniger zurückschicken, jene Kundengruppen, die viel und häufig retournieren.
Mittelfristig sind für den Verbraucher positive Effekte zu erwarten
Während also zunächst nur wenige Händler eine Rücksendegebühr erheben werden, kann diese Minderheit trotzdem eine Entwicklung in Gang setzen und das Marktgeschehen beeinflussen. Voraussetzung hierfür ist, dass sie die Aufsplittung des Verkaufspreises in die Einzelkomponenten "Warenpreis" und "Rücksendegebühr" dazu nutzen, realisierte Kosteneinsparungen über niedrigere Preise an die Kunden weiterzugeben und sich dadurch von All-Inklusiv-Anbietern abgrenzen.
Zahlreiche Beispiele außerhalb des Distanzhandels belegen, dass derartige Strategien gerade bei preissensiblen Kundengruppen erfolgreich sind. So beruht das Konzept der Billigflieger-Airlines darauf, sich auf die Kernleistung "Flug" zu konzentrieren und diese so günstig wie möglich anzubieten. Sämtliche Extraleistungen schlagen mit Zusatzgebühren zu Buche. Weiterhin weisen etwa die Deutsche Bahn oder diverse Hotelketten häufig zwei verschiedene Tarife aus: einerseits ein reduziertes Best-Preis-Angebot bzw. Sparticket, andererseits das reguläre Standardangebot bzw. -ticket. Die beiden Alternativen unterscheiden sich meist nur durch die fehlende Stornierbarkeit der günstigeren Variante, weshalb die Preisdifferenz einer Rücknahmegebühr bereits sehr nahe kommt.
Alleine die Existenz derartiger Anbieter unterstützt eine Marktsegmentierung, die eine bessere Befriedigung der Kundenbedürfnisse fördert. So wie nicht jeder Passagier an Bord eine Mahlzeit wünscht, benötigen Verbraucher nicht immer eine Rücksendeoption, für die sie nach dem aktuellen Modell aber stets mitbezahlen.
Zusammenfassung: Welche Folgen gehen mit dem neuen Wahlrecht zur Erhebung von Rücksendegebühren einher?
Abschließend soll auf die möglichen Folgen der neuen Gesetzeslage eingegangen werden. Analysiert werden drei Interessensgruppen: der Versandhandel, die Verbraucher sowie der stationäre Handel.
Für Distanzhändler wird sich aus voranstehend erörterten Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Preiswettbewerb intensivieren. Dies gilt insbesondere aufgrund der großen Markttransparenz im Internet (z.B. durch Preissuchmaschinen). Rücksendegebühren wirken sich weiterhin auf das Retourenverhalten aus. Für Bestellungen mit hohem Rücksenderisiko werden Verbraucher verstärkt auf Anbieter ohne Gebühren zurückgreifen, weshalb ein Anstieg derer Retourenquoten als sicher gilt. Entsprechend niedriger fallen die Quoten von Händlern mit Rücksendegebühren aus. Mit der Verschiebung geht eine entsprechend höhere bzw. niedrigere Kostenbelastung einher.
Verbraucher profitieren durch den größeren Wettbewerb voraussichtlich von einem niedrigeren Preisniveau. Außerdem wird es spannend zu beobachten, ob die typisch deutsche "Geiz-ist-Geil"-Mentalität zu einer Veränderung im Einkaufsverhalten führt. Möglicherweise bestellen manche Kundengruppen bei einem entsprechend großen Preisunterschied künftig zweimal. Zunächst zum Testen bei einem verhältnismäßig teuren Versandhändler, der Retouren als kostenfreie Serviceleistung versteht, anschließend erneut beim günstigsten Anbieter. Dass dieser eine Rücksendegebühr fordert, ist unerheblich, da der Kunde im Rahmen der ersten Bestellung sämtliche Retourengründe ausschließen konnte. Alternativ ist denkbar, dass sich
Kunden im stationären Handel ausführlich beraten lassen, bevor sie das Produkt anschließend beim günstigsten Anbieter im Internet ordern.
Viele stationäre Händler erhoffen sich durch die Einführung von Rücksendegebühren, dass sich möglichst viele Kunden vom Onlinehandel abwenden und wieder im Ladenlokal kaufen. Dieser Optimismus erweist sich bei genauerer Betrachtung jedoch als unbegründet. Sicherlich gibt es Kundengruppen, die aufgrund von Rücksendegebühren von einer Bestellung bei einem Händler Abstand nehmen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass diese Kunden den stationären Handel aufsuchen. Deutlich realistischer erscheint die Option, dass sie zu einem alternativen Versandhändler ohne Gebühren wechseln. Ferner vergrößern die mit den Rücksendegebühren einhergehenden Preissenkungen verbraucherseitig wahrgenommenen Preisunterschiede. Damit wird die relative Wettbewerbsfähigkeit des stationären Handels weiter geschwächt.
Insgesamt wird deutlich, dass Rücksendegebühren das Potenzial besitzen, die Marktstruktur und das Kundenverhalten zu verändern. Damit betrifft das Thema auch große Anbieter, die aktuell gar nicht planen, derartige Abgaben zu erheben. Deren Reaktion könnte darin bestehen, Retourengebühren im Sinne des Kunden umzuinterpretieren. Wie das geht, zeigt der Fashion-Händler Bonprix, der dem Kundenkonto für jede Bestellung ohne Rücksendung seit einiger Zeit einen Betrag in Höhe von drei Euro gutschreibt.
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Hinweis: Bei diesem Kommentar handelt es sich um eine Kurzfassung des folgenden Artikels: Asdecker, B./Weigel, A. (2013): "Das "Aus" für die 40-Euro-Klausel: DIE Chance für Multichannel?", in: e-commerce Magazin, 16. Jg., H. 5, S. 34-35.