Hintergruende der Retourenentsorgung - Studie ausgewertet
Die Studie ergänzt den im Frühjahr veröffentlichten Retourentacho 18/19. Dieser berichtete nur über das Ausmaß der Retourenentsorgung, ohne weiter in die Tiefe zu gehen. Mit dieser Studie liegen jetzt erstmals detaillierte Erkenntnisse über die Hintergründe der Retourenentsorgung vor.
Das in der Öffentlichkeit mit Abstand am intensivsten in der Öffentlichkeit diskutierte Thema aus dem Retourentacho 18/19 war die Entsorgung von Retouren. Gleichwohl gab es zu dieser speziellen Fragestellung außer dem Umfang (3,9 % der Retouren) bislang keinerlei belastbares Datenmaterial, um die Hintergründe der Retourenentsorgung genauer zu verstehen. Diese Wissenslücke schließt die durchgeführte Nacherhebung. Die Stichprobe umfasst 139 ausgewertete Fragebögen, was für eine Erhebung zum Retourenmanagement eine sehr gute Beteiligung darstellt und ein realistisches Abbild der Situation erlaubt. Insgesamt vereinen die Teilnehmer der Umfrage einen E-Commerce-Umsatz in Höhe von 5,5 Mrd. Euro auf sich. Dies entspricht 8,4 % am gesamten deutschen E-Commerce-Umsatz 2018 in Höhe von 65,1 Mrd. Euro.
Die wesentlichen Erkenntnisse in Stichpunkten:
Im Jahr 2018 wurden schätzungsweise 20 Mio. retournierte Artikel entsorgt. Bezüglich der Ursachen zeigt sich:
Eine Entsorgung ist oftmals alternativlos. So ist bei etwas über der Hälfte der entsorgten Artikel (53 %) eine Wiederaufbereitung technisch nicht möglich (inkl. Defekt). Dies entspricht ca. 10 Mio. retournierten Artikeln.
Gleichwohl zeigen die Daten, dass in ca. 40 % der Fälle eine Spende händlerseitig zumindest theoretisch möglich wäre, sofern sich ein Spendenempfänger finden lässt, aber nach aktuellem Stand nicht erfolgt (Antwortkategorien: "Entsorgung, weil kein Drittverwertungsmarkt vorhanden", "Entsorgung, weil Verwertung unwirtschaftlich" und "Entsorgung, weil Spenden zu aufwendig/risikoreich/teuer"). Dies entspricht etwa 7,5 Mio. Artikeln.
Hervorzuheben ist, dass ca. 5 % der Entsorgungen (ca. 1 Mio. Artikel) erfolgen, weil Marken- und Patentinhaber dies vorgeben und den Händlern eine Verwertung aktiv untersagen. Hierbei handelt es sich um eine unnötige Verschwendung von Ressourcen und ist unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit äußerst bedenklich.
Der Wert der entsorgten Ware liegt in 80 % der Fälle unter einem Warenwert von 15 Euro. Dies deutet analog zu den Ursachen darauf hin, dass oftmals niedrigpreisige Artikel und/oder Güter in einem schlechten Warenzustand entsorgt werden.
Nur rund die Hälfte (45 %) der Teilnehmer kennt die genauen Kosten für die Entsorgung eines Artikels. Dies ist ein Indiz, dass die Entsorgungsthematik bei den Entscheidungsträgern im Gesamtkontext bislang vergleichsweise wenig Relevanz besaß. Mutmaßlich ist dies darauf zurückzuführen, dass eine Entsorgung relativ günstig möglich ist. So taxieren die übrigen Befragten die Kosten im Mittel auf 0,85 Euro pro Artikel:
Aufgrund günstiger Entsorgungsmöglichkeiten und der vorhandenen Intransparenz (Kunden können nicht nachvollziehen, was mit den Retouren passiert) bestehen bislang wenige Anreize, sich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen.
Mögliche Ansatzpunkte: Entwicklung von Anreizen, um Händler zu motivieren, sich aktiv für eine geringe Entsorgungsquote einzusetzen (bspw. Schaffung eines Nachhaltigkeits-Siegels für das Retourenmanagement), Verteuerung der Entsorgungsoption, Schaffung von spendenfreundlichen Rahmenbedingungen.
Die Gründe, die Unternehmen vom Spenden abhalten, sind vielfältig und unterscheiden sich in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße:
Besonders relevant sind steuerliche Gründe. Dazu zählen der administrative Aufwand und die Unsicherheit bei der Warenwertermittlung sowie der Umstand, dass die zu entrichtende Umsatzsteuer die Entsorgungskosten übersteigt. Beide Sachverhalte stellen steuerrechtliche Entsorgungsanreize dar.
Ferner nennen die Teilnehmer als relevante Ursache den schlechten Warenzustand, sodass für sie keine Spende in Betracht kommt.
Speziell kleine Händler führen an, dass sie der Aufwand bei der Auswahl einer geeigneten Spendenorganisation von einer Spende abhält. Offensichtlich wünschen sich die Händler mehr Informationen darüber, welche Organisation, welche Art von Gütern auch in kleinen Stückzahlen entgegennimmt. Möglicher Ansatzpunkt: Schaffung eines Registers für Annahmestellen von Sachspenden.
Einem "Verbot der Retourenvernichtung" nach dem Vorbild Frankreichs stehen die befragten Händler kritisch gegenüber. Diese Einschätzung teilt die Forschungsgruppe Retourenmanagement, weil die Daten zeigen, dass eine Entsorgung in vielen Fällen alternativlos ist. Außerdem bestehen (1) einfache Umgehungsmöglichkeiten, die aus Umweltgesichtspunkten mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Verschlechterung der aktuellen Situation führen, und (2) ist eine effektive Kontrolle mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand verbunden, wenn nicht sogar gänzlich unrealistisch.
Im Gesamtmarkt fällt der Anteil der entsorgten Retouren gering aus (3,9%), was ein starkes Indiz dafür ist, dass viele Händler eine vorbildliche Verwertung durchführen. Bezogen auf die ausgehenden Sendungen liegt der Anteil gar im Promillebereich (12,1% Retourenquote Gesamtmarkt x 3,9% = 0,5%). Eine Entsorgung ist demnach die Ausnahme, nicht die Regel. Trotzdem verdient die zugrundeliegende Thematik aufgrund der starken Wachstumsraten im E-Commerce Beachtung:
Basierend auf ihren individuellen Erfahrungen und Beobachtungen vermutet sowohl die Mehrheit der reinen Onlinehändler als auch die Mehrheit der Multi-/Omni-Channel-Händler (online + stationär), dass im E-Commerce mehr Ware entsorgt wird als im stationären Handel. Dieses Antwortverhalten ist überraschend und die speziellen Gründe hierfür gilt es, in der Zukunft zu erforschen.
Eine Ursache, die aus Sicht der Forschungsgruppe Retourenmanagement hierfür in Betracht kommt, sind die Praktiken/Abläufe bei einem Verkauf über eine Plattform. Hier lagern die Händler die Logistik meist komplett an Plattformbetreiber aus (bspw. Fulfillment by Amazon). Oftmals ist in diesen Fällen für die Händler die Entsorgung die einzige praktikable Option, da keine eigenen Lagerplätze bzw. anderweitige Verwertungsmöglichkeiten aufgrund fehlender Masse vorhanden sind. Ferner bieten die Plattformen die Entsorgung sehr günstig an.
Für Rückfragen zu dieser Studie stehen wir Ihnen gerne hier zur Verfügung.